Frau Stihl, vor zweieinhalb Jahren haben Sie eine Führungsposition bei der brasilianischen Tochtergesellschaft gegen einen Sitz im STIHL Beirat in Waiblingen eingetauscht. War das wirklich eine gute Entscheidung?
Ja, sehr. Der Wechsel von Brasilien nach Deutschland bedeutete für mich zwar eine ziemliche Umstellung und es fiel mir auch schwer, das operative Geschäft hinter mir zu lassen, aber heute kann ich sagen: Es war die richtige Entscheidung. Ich bin jetzt nicht mehr Finanzchefin, sondern Beirätin und nehme die Gruppen- und strategische Perspektive ein. Das macht mir Spaß und ist sehr interessant zugleich.
Den Ortswechsel hingegen dürften Sie bereits gewohnt sein.
Ich bin in Hamburg geboren, bin bei Waiblingen aufgewachsen, war am Bodensee auf dem Internat und habe dann fast zehn Jahre in London gelebt, studiert und als Wirtschaftsprüferin gearbeitet. Zurück in Hamburg war ich fünf Jahre Geschäftsführerin eines mittelständischen Getränkeherstellers und habe parallel meinen Master of Science abgelegt. Das war zwar neben der Arbeit anstrengend, hat aber Spaß gemacht. Während meiner Zeit als Finanzchefin bei Stihl Brasilien habe ich noch an der Insead in Fontainebleau meinen Executive MBA absolviert.
Sie sind Tochter des ehemaligen STIHL Justiziars Rüdiger Stihl und Enkelin des Firmengründers Andreas Stihl. Kann man sagen, dass Ihr Weg an die Unternehmensspitze damit vorgezeichnet war?
Einerseits ja, denn ich bin Einzelkind und damit die Einzige, die den Sitz meines Vaters im Beirat übernehmen konnte. Andererseits: Wenn man mich vor zwei Jahren gefragt hätte, ob ich die operative Verantwortung verlassen will, hätte ich vermutlich den Kopf geschüttelt.
Einem Journalisten haben Sie mal erzählt, dass Sie als Kind Architektin werden wollten. Warum sind Sie es nicht geworden?
Ehrlicherweise wüsste ich gar nicht, ob ich wirklich das allergrößte Talent für Architektur besitze. Und meine Neugier, mich in unserem Familienunternehmen einzubringen, war einfach größer. Nach meinem ersten Studium hatte ich ein Praktikum in unserem Unternehmen absolviert und von Vertrieb und Marketing, über Produktion bis Entwicklung fast alle Abteilungen durchlaufen. Die technischen Details haben mich ziemlich angefixt. Ich bin auch sehr gern in unseren Fabriken - ich mag den Geruch.
Benutzen Sie privat STIHL Werkzeuge?
Ja, ich besitze ein Akku-Blasgerät, einen Freischneider und einen Reiniger. Aber ich habe erst seit Kurzem einen Garten, deshalb ist mein Gerätepark noch überschaubar.
Wie muss man sich Ihre erste Erinnerung an STIHL vorstellen?
Als Kind war ich nicht so oft hier, ich kann mich aber noch an das Büro meines Vaters erinnern. Außerdem wurden wir Kinder immer zu Firmenveranstaltungen mitgenommen. Lustigerweise habe ich auch noch ein orangefarbenes T-Shirt mit einer STIHL Motorsäge im Kopf. Das fand ich super. Eine Retro-Variante davon wäre eigentlich gut.
Haben Sie den Namen Ihrer Familie auch mal verflucht?
Durchaus, auch wenn unsere Firma vor 30 Jahren natürlich noch viel kleiner und unbekannter war als heute. An meinem allerersten Tag in der Schule erklärte mir ein Mädchen: „Mit dir darf ich nicht spielen.“ Damit hatte ich nicht gerechnet.
Und worin liegt der Vorteil, in einer Industriellenfamilie aufzuwachsen?
Der größte Vorteil besteht darin, über die Mittel für eine gute Ausbildung zu verfügen. Das ist ein großes Glück. Es macht unabhängiger, beruhigt und sorgt dafür, dass man freier agiert.
Wofür steht die Marke STIHL heute?
Für Zuverlässigkeit und Qualität. Wir helfen unseren Kunden mit unseren Produkten und Services, ihre Arbeit besser zu machen.
Und wofür steht das Unternehmen STIHL?
Nach außen für hohe Innovationskraft und Kundenorientierung. Intern für kontinuierliche Verbesserung unserer Prozesse, sodass wir immer wettbewerbsfähig bleiben. Außerdem würde ich sagen: Wir stehen für langfristige Partnerschaften und ein gutes Verhältnis zu unseren Mitarbeitern, Kunden und Lieferanten.
Woran erkennt man, dass STIHL ein Familienunternehmen ist?
Bei STIHL haben wir häufig 25-jährige, 40-jährige und sogar 50-jährige Betriebsjubiläen. Und die werden immer mit Vorstand und Familie gefeiert.
Typisch für Familienunternehmen ist auch, dass wir bei Investitionen nicht auf die kurzfristige Rendite, sondern auf die langfristige Perspektive schauen. Mein Onkel beispielsweise ist bekannt dafür, gerne zu bauen. Wenn er in ein Werk kommt und im Eingang eine Luftaufnahme des Geländes sieht, lautet seine allererste Frage immer: Wo hört das Grundstück auf?
Ein anderes Beispiel: Als wir 2009 mit den ersten Akkugeräten auf den Markt kamen, waren wir damit noch Pioniere in unserer Industrie. Dabei stand damals keineswegs fest, dass Akkutechnologie derart erfolgreich sein würde. Aber wir sind das Wagnis eingegangen. Heute zahlt es sich aus.
STIHL ist heute in über 160 Ländern der Erde aktiv. Ist es noch ein schwäbisches Unternehmen?
Natürlich. Schwaben sind Tüftler. Das spiegelt sich in unserer Innovationskraft und in der Qualität unserer Produkte wider. Und an unserer Treue zum Stammhaus hier in Waiblingen, aber auch zu den anderen Werken in Deutschland. Als global agierendes Unternehmen darf und kann man seine Wurzeln nicht vergessen.
STIHL hat ein familienfremdes Management, einen Aufsichtsrat und einen Beirat, dem Sie angehören. Wie verteilen sich die Aufgaben zwischen den Gremien?
Unser Aufsichtsrat ist das Gremium, in dem auch unsere Arbeitnehmer vertreten sind. Im Beirat, der familienintern und -extern besetzt ist, wird die strategische Ausrichtung festgelegt. Unser Vorstand setzt sie um.
Aber Sie haben Recht: Dadurch, dass wir als familieninterne Beiräte quasi ständig im Unternehmen präsent und engagiert sind, sind wir auch relativ nah dran am Geschehen.
Sie gehören zur 3. Generation der Stihls. Ist von der 4. Generation schon jemand im Unternehmen?
Wir hatten dieses Jahr die erste Gesellschafterversammlung, bei der es ein Programm für die 4. Generation mit Werksführung und einer Art Trainingsprogramm gab. Die Generation ist momentan zwischen 16 und 25 Jahre alt. Wir würden uns natürlich freuen, wenn sie Praktika im Unternehmen absolvieren würden. Wir möchten sie für die Firma begeistern und ihnen eines Tages unser Unternehmen in gutem Zustand übergeben. Und natürlich hoffen wir, dass eines Tages eine 5. Generation übernehmen wird.