Für eine einheitliche Prozess- und Systemlandschaft durchläuft STIHL zurzeit einen der größten Veränderungsprozesse in der Geschichte des Unternehmens.
„Es ist kein IT-Projekt“, betont Jaisson Bitencourt mit Nachdruck. Ingo Köder nickt zustimmend: „Im Kern geht es um eine Business Transformation. Wir sind dabei, alle unsere Betriebsabläufe auf den Tisch zu packen und zu prüfen.“ Die Rede ist von ONE STIHL – einem Projekt mit der Dimension eines Containerschiffs, das an Land gehoben wird, um es dort einmal komplett auseinander- und wieder zusammenzubauen. STIHL ist dabei, sämtliche Geschäftsprozesse rund um die SAP ERP-Landschaften aufzuschlüsseln, zu optimieren, zu harmonisieren und in einem IT-System zusammenzufassen – und zwar weltweit: in 35 Vertriebs- und sieben Produktionsgesellschaften. Das erste, sichtbare Ergebnis dieses gewaltigen Umbaus wird die SAP-Benutzeroberfläche sein. Intuitiv soll sie werden, noch dazu deutlich anwenderfreundlicher, dank einer einheitlichen Datenstruktur sowie effizient aufeinander abgestimmter Abläufe.
Doch bis es so weit ist, hat das internationale Projektteam noch eine Menge zu tun. Rund 230 STIHL Mitarbeitende sind an der Umsetzung beteiligt, 35 von ihnen als Kernteam am Stammsitz in Waiblingen, darunter Ingo Köder als Projektleiter Prozesse und Jaisson Bitencourt, verantwortlich für das IT-System im Bereich „Finance and Controlling“. „Im ONE STIHL Team arbeiten Kolleginnen und Kollegen aus acht Nationen. So wie Jaisson, der als Expat aus Brasilien bei uns ist“, erzählt Ingo Köder. „Anfangs haben wir uns sehr viele Gedanken über mögliche Kulturunterschiede gemacht. Brasilianer, Chinesen und Schwaben an einem Tisch, ob das gut geht?“
Tut es. Das Unternehmen mag zwar bislang noch in vielen verschiedenen ERP-Systemen arbeiten. Der STIHL Spirit ist jedoch weltweit derselbe. „Herkunft und Sprache hindern uns nicht daran, miteinander zu arbeiten“, führt der 52-Jährige aus, bei dem alle Prozess-Fäden zusammenlaufen. Eine Herausforderung sei vielmehr, über verschiedene Zeitzonen hinweg zu kommunizieren. Auch an die neuen agilen Arbeitsmethoden hätten sie sich gewöhnen müssen.
An der Stelle klinkt sich Guy Wallace ein. Der Amerikaner arbeitet seit 43 Jahren für STIHL und ist extra für das Projekt nach Waiblingen gezogen. Er kümmert sich um das Daten-Management, heißt: um eine einheitliche Stammdatenstruktur. Er findet, dass STIHL in puncto Agilität schon eine Menge gelernt habe. Früher seien Pläne gemacht worden, erklärt er und plaudert weiter aus dem Nähkästchen, sehr lange und sehr detaillierte Pläne. Alles wurde im Vorfeld analysiert. „Heute machen wir Sprints. Und: Wir geben uns die Erlaubnis zu scheitern. Das macht uns beweglicher und schneller.“
Dafür, dass trotz aller Agilität am Ende auch Etappenziele erreicht werden, ist Anja Holzwarth zuständig. Die 33-Jährige arbeitet seit April im Global Transformation Office von ONE STIHL. Ihre Aufgabe besteht darin, den Projekt-Verantwortlichen Prozesse und Methoden an die Hand zu geben, mit deren Hilfe sie die Arbeit ihrer Teams steuern können. „Wir sind eine Art Vehikel“, beschreibt sie die Funktion. „Wir betten die vielen agilen Teams in eine übergreifende Struktur ein, ohne sie allzu sehr einzuengen.“ Dieser Projektmanagement-Ansatz sei neu für das Unternehmen, so Holzwarth weiter. „Wir lernen jeden Tag dazu. Insofern ist ONE STIHL zugleich eine Echtzeit-Schulung in Sachen New Work.“
Alles andere als neu ist dagegen die Art und Weise, wie STIHL Lösungen entwickelt: gemeinsam, von innen heraus, mit eigenen Fähigkeiten. Das gilt auch für ONE STIHL. Das Unternehmen stülpt den rund 7.000 SAP-Nutzerinnen und -Nutzern nicht einfach eine fertige Lösung über, sondern erarbeitet sie schrittweise mit den eigenen Leuten. Denn sie sind die Expertinnen und Experten und sie müssen am Ende damit umgehen. „Deshalb ist es so wichtig, immer wieder zu erklären, warum wir das Ganze machen“, so Hien Nguyen. Die PR-Expertin koordiniert im Rahmen des Projekts die Kommunikation. „Für viele Kolleginnen und Kollegen bedeutet ONE STIHL zunächst einmal Mehrarbeit.“ „Und nicht jeder wird mit der einen Lösung glücklich sein“, ergänzt Jaisson Bitencourt. Hinzu kommt, dass der spürbare Nutzen der Veränderung in der Zukunft liegt.
Aber um genau die geht es: die Zukunft. Wer morgen wirtschaftlich erfolgreich sein will , muss seine Daten im Griff haben. Und die dazugehörigen Prozesse. Beides sind Erfolgsfaktoren. Sie bieten nicht nur ein enormes Effizienzpotential , sondern darüber hinaus den Zugang zu innovativen Produkten, Services und Geschäftsmodellen. Grund genug, ein einwandfrei funktionierendes System aufzubohren und zu transformieren.
Die ersten 15 Vertriebsgesellschaften wurden bereits zum Jahreswechsel 2021 mit einem Big Bang auf die neue Systemwelt S/4HANA umgestellt und sind somit die Basis der weiteren Entwicklungsschritte für die einheitliche Systemplattform der STIHL Gruppe. Die ersten Rollouts für die Produktionsgesellschaften starten 2021 in der Schweiz und in Österreich. In den nächsten Jahren folgen dann das deutsche Stammhaus und sukzessive alle anderen STIHL Gesellschaften. Am Ende wird eine Auftragserstellung in den USA genauso ablaufen wie in Deutschland, China und Brasilien. Mindestens genauso wichtig wie die einheitliche Prozess- und Systemlandschaft dürfte allerdings der Weg dorthin sein. Davon ist Guy Wallace fest überzeugt: „Die technologische Entwicklung wird immer mehr Veränderungsfähigkeit von uns fordern. Noch nie war es so wichtig, sich verändern zu können.“ Auch in der Hinsicht ist ONE STIHL eine große Errungenschaft.